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Carmageddon: Reincarnation – Totgesagte sprotzen länger

carmageddon_teaserMan kann über „Minecraft“ denken, was man möchte, doch eines kann man kaum bestreiten: das Klötzchenstapelspiel hat mit die Computerspielwelt nachhaltig verändert. Nicht nur hat es bewiesen, dass es weder Grafikpompast noch klar definierte Spielziele braucht um Millionen Menschen auf der Welt dauerhaft zu begeistern, nein … es hat Entwicklern zudem gezeigt, dass überraschend viele Spieler bereit sind auch für ein größtenteils unfertiges Spiel den Geldbeutel zu zücken. „Minecraft“ war der Öffentlichkeit schon früh in seiner Entwicklung zugänglich … solange man bereit war dafür zu bezahlen. Das war 2009.

Hüpfen wir in die Gegenwart. Mittlerweile hat dieses Finanzmodell einen Namen bekommen: Early Access. Gegen Zahlung eines mehr oder weniger großen Obolus erwerben Spieler die Möglichkeit bereits lange vor Veröffentlichung potentielle Zukunftsknaller in unfertigem Zustand anzuspielen. Für die Entwickler ist das ein guter Deal: selten zuvor war es einfacher Investoren ohne Anspruch auf eine Gewinnbeteiligung zu rekrutieren (die zugleich auch noch unbezahlt alpha-, beta- und gammatesten).

Pessimistische Spielepropheten werden nicht müde zu lamentieren wie furchtbar dieses ganze System ist, da es – ihrer Ansicht nach – Spielehersteller dazu verführen könnte nur noch unfertige Produkte in die Läden zu rotzen und zahlende Kunden als Betatester zu missbrauchen. Die diversen Bugfiasken der letzten Monate scheinen die Befürchtungen der Schwarzmaler zu bestätigen (wobei man nicht vergessen sollte, dass der Wechsel in eine neue Generation nur selten vollkommen reibungslos verläuft). Dennoch gibt es offenbar eine beachtliche Zahl Spieler, die Early Access dankend, wenn auch deutlich stillschweigender, annehmen.

I COULDN’T CARE LESS

Ich gehöre keiner der beiden Parteien an. Weder denke ich, dass Early Access der Spielelandschaft nachhaltig Schaden zufügen wird, noch empfinde ich eine sonderliche Begeisterung für dieses System. Meist ignoriere ich es einfach. Einige wenige Ausnahmen gibt es allerdings. „Minecraft“ habe ich beispielsweise bereits in der Betaphase gespielt (streng genommen sogar fast NUR in der Betaphase). Im Rahmen einer Steam-Aktion habe ich mir außerdem „Prison Architect“ für ein paar Euro geschnappt, damit es fortan ungespielt in meiner Steamliste abhängen kann (es befindet sich dort in guter Gesellschaft). Vor kurzem – und damit komme ich dann auch schon zum eigentlichen Thema dieses Beitrags – gesellte sich dann auch noch „Carmageddon: Reincarnation“ in diesen kleinen elitären Kreis.

Für all die Jungspunde, die vielleicht noch nie zuvor von „Carmageddon“ gehört haben, hier in aller Kürze die wichtigsten Randfakten: „Carmageddon“ ist eine … naja … nennen wir es mal Rennspielreihe, deren erster Teil vor schockierenden 18 Jahren auf den Markt kam. Ein Jahr später, 1998, veröffentlichte der Entwickler Stainless Games dann bereits den zweiten Teil „Carmageddon II: Carpokalyse Now“. Im Jahr 2000 erschien nach einem Entwicklerwechsel schließlich der dritte und zugleich bis dato letzte Teil der Reihe, „Carmageddon: TDR 2000“, und wurde damals (vermutlich zu Recht) größtenteils ignoriert.

IST DAS ALLES?

Eine Sache sollte man vermutlich noch erwähnen: meine Fresse waren die Spiele blutig. Eieieiei. Jeglicher Political Correctness wurde hier mit Anlauf in die Nüsse getreten und anschließend irre lachend rülpsend ins Gesicht gefurzt. Guter Geschmack fand woanders statt, hier herrschte in erster Linie Pipi-Kaka-Splatsplat-Humor. Genau das Richtige für angehende Akademiker.

So kam es dann, dass „Carmageddon“ gemeinsam mit „Duke Nukem 3D“ und „DOOM“ damals ein Trio infernal der Schulhof-Geheimtipps bildete. Unter vorgehaltener Hand erzählte man sich von dem Rennspiel, bei dem man Omas nicht nur über den Haufen fahren konnte, sondern dafür auch noch einen Zeit- und Geldbonus bekam (natürlich landeten auch andere Fußgänger unter den Rädern, doch Omas waren langsam und daher besonders einfach zu erwischen). Man konnte die „Rennen“ sogar gewinnen, indem man sämtliche Fußgänger in blutige Einzelteile zerlegte … von Kühen über übergewichtige Jogger bis hin zu zuvor erwähnten Omas war alles vertreten. „Carmageddon“ war ein Skandalspiel wie es sie in den 1990ern Jahren häufiger gab. Es war eines jener Spiele, welche von der BPjM ungesehen aus dem Verkehr gezogen wurden. Blutig und verboten: es war wirklich kein Wunder, dass unser Interesse seinerzeit geweckt wurde.

TIME FOR: VIDEO GAME HISTORY
Dieser Screenshot ist nichts für schwache Gemüter!

„Carmageddon“ ist in vielerlei Hinsicht der geistige Nachfolger eines der ersten Skandalspiele der Computerspielgeschichte überhaupt … dem 1976 erschienenen Arcadespiel „Death Race“. Der damalige Skandal: Ziel des Spiels war, möglichst viele unschuldige Fußgänger zu roten … äh … weißen Pixelmatschepixeln zu plätten. Es fällt nicht schwer hier die ein oder andere Parallele zu sehen. Grafisch war das damals allerdings eher unspektakulär – die Gewalt fand in erster Linie in der Fantasie der Spieler statt – doch es genügte, um die erste Diskussion über Gewalt in Spielen loszutreten. Letztendlich landete das Spiel in Deutschland auf dem Index … als eines der ersten seiner Art.

carmageddon_deathrace2000_2Kleine unnütze Bonusinformation am Rande: „Death Race“ ähnelt in Inhalt und Namen dem ein Jahr zuvor erschienenen Film „Death Race 2000“ (mit Hinblick auf die fehlende Lizenz ist diese Ähnlichkeit jedoch vermutlich rein zufällig), dessen deutscher Titel „Frankensteins Todesrennen“ schlicht und ergreifend grandios ist. Etwas enttäuschend ist dann jedoch, dass weder der gute Doktor noch sein Grunzemonster im Film an irgendwelchen Rennen teilnehmen. Stattdessen spielt David Carradine einen Rennfahrer namens Frankenstein … wesentlich uncooler. Sylvester Stallone ist zudem in einer seiner ersten größeren Rollen zu sehen (leider nicht als Monster). „Todesrennen“ trifft es immerhin ganz gut … das Umnieten von Passanten gibt auch im Film Bonuspunkte. Mir deucht hier lässt sich ein wiederkehrendes Thema dieses Artikels erkennen.

BACK TO TOPIC

Mein erster Kontakt mit „Carmageddon“ verlief dann jedoch dank der zensierten deutschen Verkaufsfassung skandalös unblutig. In dieser Version wurden sämtliche Fußgänger durch Roboter ersetzt … durch phallische Mülleimerroboter, um genau zu sein. Blut wurde zu Maschinenöl, Körperteile zu Zahnrädern und der Reiz des Verbotenen war dahin. Laaaaangweilig! Oder … ?

Ich habe es zuvor bereits schon einmal an anderer Stelle erwähnt: ich bin ein Zerstörungsenthusiast. Wenn Dinge physikalisch (halbwegs) korrekt in ihre Einzelteile zerbersten, jubelt der mühsam unterdrückte Bombenbauer in mir. Leider bleiben Zerstörungen in der Realität jedoch selten ohne Folgen, daher lebe ich diesen Drang bevorzugt in Spielen aus. „Carmageddon“ befriedigte selbst in seiner zensierten Fassung meine Lust am KARUMMS! Nie zuvor war mir ein Spiel untergekommen, in dem man so detailverliebt Autos Stück für Stück karambolieren konnte. Und das alles in einer relativ frei erkundbaren Spielewelt. Was kümmerten mich da Blut und Gedärm? „Carmageddon“ hatte für mich auch in seiner zensierten Form genug Rumms.

Daraus zog ich eine wichtige Lehre: es muss nicht immer alles möglichst uncut und brutal sein, damit man Spaß haben kann. Daher erwarb ich „Carmageddon 2: Carpokalypse Now“ bei der ersten sich bietenden Gelegenheit selbstverständlich in seiner vollkommen unzensierten Blutbreipracht. In Deutschland war dies allerdings nicht so einfach möglich, in Italien jedoch durchaus. Und wie es der Zufall wollte verbrachte ich den Sommer 1999 mit Freunden eben dort. In einem Mailänder Elektronikfachhaus stolperte ich über das Spiel. Es war ein toller Urlaub … gerade frisch volljährig, Freunde, der Lago Maggiore, Sommer, Sonne, Strand, Alkohol, ein Ferienhaus zur freien Verfügung, zahlreiche leicht bekleidete Italienerinnen … aber dummerweise kein Computer weit und breit. Ja … meine Prioritäten waren diskutabel.

Aaaah ... la dolce vita!
Aaaah … la dolce vita!

In der Heimat landete das Spiel dann auch subito auf meiner Festplatte  und BAMM … das erste Mal seit vielen Jahren rammte ich ungebremst in die Sprachbarriere (meine Italienischkenntnisse gingen und gehen dummerweise nicht weit über „subito“ hinaus). Zugegebenermaßen war es jedoch ein eher kleine Aufprall, da die „Carmageddon“-Reihe nicht allzu textlastig ist.

„Und?“, fragt ihr euch nun mit Sicherheit alle, „wurde das Spiel durch Blut und Gedärm besser?“ Schwer zu sagen … es wurde dadurch definitiv eine ganze Schippe makabrer. Und damit letzten Endes auch … ähem … lustiger. Die Zerstörungsphysik der Fahrzeuge war für mich jedoch weiterhin der eigentliche Star. Basta!

„Carmageddon: TDR 2000“ habe ich nie gespielt und plane auch nicht dies nachzuholen (und das obwohl als Bonus bei der „Early Access“-Fassung von „Reincarnation“ dabei war).

AUFERSTANDEN AUS DEM BLUTBREI

Und „Carmageddon: Reincarnation“? Der Name deutet es bereits an … „Reincarnation“ ist weniger Fortsetzung, sondern viel mehr ein Remake des ersten Teils. Daher ist es wenig verwunderlich, dass das Spiel die Mechaniken des Originals kaum antastet (wobei schon alleine der Multyplayermodus rein theoretisch sein Geld wert sein könnte … ob das auch in der Praxis so ist, muss sich noch zeigen). Auch technisch bleibt es dem Vorbild seiner Vorgänger treu. Was ich damit meine: so richtig auf der Höhe der Zeit ist das Ganze erneut nicht unbedingt. „Carmageddon: Reincarnation“ ist nicht wirklich schön und zugleich (in der unfertigen Early-Access-Fassung) relativ hardwarehungrig. Doch das sollte sich bis zu finalen Version, die am 23. April 2015 erscheinen soll, hoffentlich noch ändern. Davon abgesehen: die Fahrzeuge deformieren sich nun detailverliebter als noch vor 18 Jahren, der Humor ist erneut makaber albern und der Rummsfaktor rummst ordentlich. Spielerisch gibt es nur wenige Änderungen. So gibt es nun beispielsweise neben den Standard“rennen“, bei denen entweder die Zerstörung aller Fahrzeuge oder die Plättung aller Passanten oder Vollendung aller Runden an vorderster Position zum Sieg führen, auch noch einige andere Spielmodi. Das Grundprinzip bleibt jedoch bestehen.

QUALITÄT, DIE ÜBERZEUGT?

Ich war mir lange nicht sicher, ob die Spiele tatsächlich den höchstoffiziellen Gute-Spiele-Stempel hatten, da ich mich trotz (oder vielleicht auch wegen) der Existenz zensierter deutscher Fassungen nicht entsinnen könnte, jemals einen Test in einem deutschen Videospielmagazin gelesen zu haben (was allerdings vermutlich nicht bedeutet, dass es diese nicht gegeben hat). Ich hatte lediglich mitbekommen, dass Carmageddon: TDR 2000″ in der Presse nicht sonderlich positiv aufgenommen wurde. Eine kurze Recherche im Rahmen dieses Beitrags hat allerdings ergeben, dass die ersten beiden Teile damals tatsächlich gar nicht mal schlecht abgeschnitten haben.

carmageddon_reincarnation

Und dennoch … trotz dieses offiziellen Gütesiegels bin mir immer noch nicht sicher, ob ich die Spiele im klassischen Sinn als „gut“ einstufen würde. Technisch waren die „Carmageddons“wie bereits erwähnt nie die Klassenprimuse (oder heißt das Klassenprimen?), inhaltlich fragwürdig waren sie sowieso und das Gameplay war auf Dauer hochgradig repetitiv. Auf der Plusseite steht „lediglich“ die pure Lust und Freude an der Zerstörung von Körpern und Karosserien. Heutzutage lockt das vermutlich niemanden mehr für längere Zeit hinter das virtuelle Lenkrad. Mich auch nicht.
Doch für den kurzen Stressabbau am Ende eines langen Tages, an dem einem wiederholt mit voller Wucht ins Bewusstsein geprügelt wurde, dass das Erwachsenleben mit all seinen Pflichten und Ärgernissen manchmal gar nicht so supertoll ist wie man sich das als junger Mensch immer vorgestellt hat und dass man nun zwar alles machen kann, was man machen möchte, aber nicht alles machen sollte, was man machen möchte … für den Stressabbau am Ende eines solchen Tages kann eine Runde „Carmageddon: Reincarnation“ genau das Richtige sein.

Fazit: I like! Ob das alles jedoch bei einer halbwegs objektiven Betrachtung als „gut“ durchgehen würde … ja … das weiß ich immer noch nicht.

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„Carmageddon: Reincarnation“ kann man momentan noch (auf eigenes Risiko) als Early-Access-Titel auf Steam erstehen und wird voraussichtlich am 23. April 2015 als finales Endprodukt das Licht der Welt erblicken.

UPDATE April 2015: Da war man bei Stainless Games offenbar ein wenig zu optimistisch. Vor einer kleinen Weile musste man nämlich verkünden, dass das Spiel noch ein wenig mehr Feinpolitur benötigen würde als ursprünglich gedacht. Der neue geplante Veröffentlichungstermin der finalen Version ist der 21. Mai 2015.

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