Gastartikel: Der Kardinalfehler der Videospiele (1)
Freude in allen Gassen: Nach einer etwas längeren Ruhephase gibt es hier mal wieder neues Lesefutter. Yeah! Und das Beste daran: Ich musste dafür nicht einmal selbst meine grummeligen Gedanken in die Tasten hauen. Besser kann es eigentlich nicht laufen. Dirk M. Jürgens, seines Zeichens fleißiger Kommentator, zeichnerisch herausgeforderter Webcomic-Maestro, Buddelfisch-Autor und Philantrop, hat dankenswerterweise einen kleinen Gastartikel verfasst, der etwas umfangreicher geworden ist und deswegen in zwei Teilen veröffentlicht werden wird. Da Dirk pathologisch größenwahnsinnig ist, hat er sich für den Anfang ein eher kleines Thema ausgesucht: Der Kardinalfehler der Videospiele. Viel Spaß.
Gründe, aus denen ein Videospiel schlecht werden kann, gibt es viele. Es kann unfair schwer sein, technisch unausgereift oder einfach nur schlicht monoton. Ernest W. Adams hat mit seiner No Twinkie-Database und The Bill of Players‘ Rights viele solche einzelner Punkte wie auch generelle Überlegungen zusammengetragen und sollte von jedem, der sich in dem Fach zu betätigen gedenkt, gelesen werden.
Doch ich wage zu behaupten, sowohl durch eigene Beobachtung, als auch Adams‘ Ausführungen vielleicht DEN großen Kernfehler bemerkt zu haben. Auch ohne ihn zu machen kann ein Spiel komplett vergurkt sein. Ihn zu vermeiden heißt nicht, automatisch alles andere richtig zu machen. Doch wo er auftritt, ist er auch vielen guten Spielen abträglich, durchwachsenen Spielen versetzt er hingegen oft den Todesstoß.
Betrachten wir doch einmal drei einzelne Punkte, die an vielen Videospielen ausgesetzt werden, ja quasi moderne Klassiker der Spielekritik sind, dennoch aber entgegen jeder Wahrscheinlichkeit immer wieder auftauchen:
- Suboptimale Speichermöglichkeiten
- Quick-Time-Events
- Unüberspringbare Zwischensequenzen
Sie alle sind Evergreens der Beschwerden, die aber dennoch unausrottbar scheinen. Und das Problem aller drei Fälle ist genau das, was ich als besagten Kardinalsfehler betrachte: Dem Spieler wird nicht erlaubt, in seinem eigenen Tempo zu spielen!
Wer weiß, dass er, wenn er jetzt aufhört, oder seine Spielfigur stirbt, jede Menge bereits gemeistertes Spiel noch einmal durchzocken muss, ist in seinem Spielverhalten eingeengt: Vor den Preis, den er begehrt (weiterkommen und neue Stellen erreichen) ist der Schweiß gesetzt, bereits vollbrachtes noch einmal zu tun. Das ist im Leben häufig so, aber Videospiele sollen ja doch gerade besser sein, als die triste, dunkle Realität mit ihren Pflichten, Routinen und Hauskatzen (gut… letztere stören andere Leute wohl weniger als mich).
Ein QTE erlaubt noch weniger Freiheit: Zum exakt bestimmten Zeitpunkt muss der Spieler exakt die richtige Taste drücken, damit im Spiel etwas passiert, was er sich im Grunde nicht wirklich zurechnen kann. Bei Misserfolg gibt es besagte, verdrießliche Wiederholung.
Wenn sich Zwischensequenzen nicht überspringen lassen, ist es vielleicht sogar noch schlimmer, denn dabei hat man nicht einmal mehr den Rest Einfluss, über Gelingen und Misslingen zu bestimmen. Man ist in dem Moment passiver Zuschauer, statt aktiver Spieler. Wenn man das will, sieht man sich einen Film an, aber wer ein Videospiel spielt, will teilnehmen.
Lacht er über unser Leid?
Ich argwöhne, der Grund dafür, dass selbst diese legendären No-Gos immer wieder vorkommen, liegt in der unterschiedlichen Perspektive der Macher und der Spieler: Wenn Hideo Kojima einen neuen „Metal Gear Solid“-Teil konzipiert, ist er vermutlich derartig begeistert davon, seine Geschichte zu erzählen, dass er den Betrachter derselben vergisst. Da will er unbedingt diese halbstündige Diskussion über Nanobots einbringen und weil er bei ihrem Schreiben so fasziniert ist, kann er sich nicht vorstellen, dass der Spieler es anders empfindet.
Vielleicht IST die Diskussion sogar wirklich interessant und am Computer würde ich sie mit einer Hand am Mausrad, der anderen an einer Schlagwaffe zur Katzenabwehr durchaus gespannt verfolgen, aber vor der Konsole mit dem Controller in beiden Händen (und damit ein leichtes Ziel für eventuell auftauchende Katzen) will ich endlich die Mission fortsetzen.
Ähnlich QTEs: Niemand kann leugnen, dass es unfassbar stylisch ist, wen Kratos (nach seinem Gastspiel in der Bibel) einem Feind elegant den Rest gibt. Und tatsächlich wäre es (zumindest im Moment) schwer möglich, eine Steuerung zu schaffen, die solch präzise und individuelle Bewegung ermöglicht. Doch beim fünften Versuch, bei dem ich nicht die Action selbst wahrnehme, sondern nur darauf achte, welche Taste gleich aufblinkt, habe ich wenig davon und werde nur aus dem Geschehen gerissen.
Was stylisch funktioniert, kann spielerisch ins Auge gehen. Verstehste? Auge! Höhö…
Anders als andere Gamer, achte ich schon auf die Story eines Spiels (Wird Mario die vollkommen überraschend entführte Peach wohl je wiedersehen?), darum weiß ich auch zu würdigen, dass man sich nicht durch ein versehentliches Tastendrücken gleich um ein wichtiges Stück Handlung bringt. Aber man sollte eben die Möglichkeit haben, es zu tun. Die Lösung ist simpel: Ein beliebiger Tastendruck stoppt die Sequenz, ein bestimmter überspringt sie, jeder andere setzt sie fort. Gibt es immer wieder, aber eben nicht immer.
Ob es darum geht, wie sich der Spieler die Spielzeit in seinem realen Leben einteilt, oder in welcher Geschwindigkeit er sich durch die Spielwelt begibt – wenn man ihm ein Tempo aufzwingt, frustriert man ihn bald. Diese Tempozwänge können sich auf einzelne Passagen beziehen, aber auch im Spielverlauf an sich angelegt sein: „The Legend of Zelda: Wind Waker“ war ein großartiges Spiel, aber fast niemand mochte die ewig langen Seereisen, sowie die unnötig verkomplizierte Triforce-Suche am Ende. – Dass man den gefährlichen Perversen Tingle nicht töten kann, sondern bezahlen muss, ist ein Punkt für sich, aber nicht der, um den es mir geht.
„Yay, Geld für mehr Rohypnol!“
Ähnliches frustrierte damals auf dem N64 praktisch jeden, der „Turok 2“ spielte. Eine typische Aufgabenstellung lautete „Finde 8 Gefangene, entzünde 14 Leuchttürme, sammle 23 Schlüssel und mähe 39 Rasenflächen“ und zog so auch den an sich hübschesten Level in unfassbare Längen der Fadheit.
Wenn ich heute einen „Gears of War“-Teil spiele, fürchte ich mich vor jedem Funkspruch, der dafür sorgt, dass meine Spielfigur nicht mehr laufen und abrollen kann, sondern nur langsam mit einem Finger am Ohr schleichen. Ja, die Gegenden, in denen das geschieht, sind stets sicher und ohne Feindkontakte, ein spielerischer Nachteil entsteht nicht. Aber mir wird unter die Nase gerieben, dass ich meine Figur nur soweit steuern kann, wie man es mir gnädig erlaubt.
Weitere spektakuläre Beispiele demnächst im spektakulären zweiten Teil dieses spektakulären Artikels!
2 Kommentare
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Let's Fail
Unfair schwer sein? – da fällt mir nur Dark Souls ein, und das isn Kracher 🙂
Toller Gastartikel!