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Gone Home – Indie-Avantgarde voraus!

Nach „The Stanley Parable“ habe ich mich die Tage mit „Gone Home“ eines weiteren Indie-Kritikerlieblings angenommen. „The Stanley Parable“ hat mich in erster Linie verwirrt und ein wenig fasziniert zurück gelassen. Bis heute weiß ich nicht, ob ich das Spiel wirklich gut fand. Bei „Gone Home“ ist das anders. Denn „Gone Home“ ist definitiv toll. Jawoll … ich sage definitiv. Wer etwas anderes behauptet hat unrecht! Oder ist anderer Meinung (BUH!).

„The Stanley Parable“ und „Gone Hone“ sind sich nicht unähnlich. Es sind Indiespiele, man erlebt sie aus der First-Person-Perspektive und sie loten aus wie Videospiele als erzählendes Medium funktionieren können … jedes auf seine eigene Art und Weise. „The Stanley Parable“ legt den Schwerpunkt auf das interaktive Erzählen. Unterschiedliche Pfade führen zu unterschiedlichen Geschichten. Gleichzeitig ist es ein Meta-Videospiel … Spiel und Kommentar zu Spielen in einem. Auf intellektueller Ebene ist das spannend, emotional involviert ist man allerdings eher weniger. „Gone Home“ erzählt seine Geschichte wiederum eher geradlinig, dafür jedoch hochemotional. Ab hier folgen SPOILER. Sollte man das Spiel noch auf seiner TO-PLAY-Liste stehen haben, würde ich anraten nicht weiterzulesen.

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Man spielt Kaitlin, eine junge Amerikanerin, die nach einem Auslandsjahr in Europa in ihr Elternhaus zurück kehrt. Dieses ist ihr allerdings genauso unbekannt wie dem Spieler, da ihre Familie in ihrer Abwesenheit umgezogen ist. Doch als wäre es nicht genug in einer düsteren Gewitternacht in ein fremdes Haus heimzukehren … nein … zu allem Verdruss erwartet sie nicht einmal jemand bei ihrer Ankunft. Sowohl ihre Eltern wie auch ihre jüngere Schwester Sam scheinen wie vom Erdboden verschluckt. Der einzige Willkommensgruß ist eine hastig geschriebene (und etwas kryptische) Nachricht von Sam, die sie an der Eingangstür findet. Es ist nun an Kaitlin – und dem Spieler – heraus zu finden, was mit ihrer Familie geschehen ist. Tiefste Nacht, Gewitter, ein leeres dunkles Haus und das mysteriöses Verschwinden mehrere Personen … Geistergeschichte, ick hör dir trapsen.

ALONE IN THE DARK (AND QUITE ORDINARY FAMILY HOME)

Und diese erste Prognose scheint sich zunächst auch zu bestätigen … einer der vielen kleinen, aber genialen Kniffe von „Gone Home“. Kaum im Haus hört man den frenetisch blinkenden Anrufbeantworter ab … vielleicht bekommt man ja hier eine Antwort. Falsch gedacht. Eine unbekannten jungen Frau, die in Tränen aufgelöst ist und mit Sam sprechen wollte, und man selbst, um relativ kurzfristig die Heimkehr anzukündigen, haben auf den Anrufbeantworter gesprochen. Beides hilft einem nicht weiter. Bald finden sich auch Hinweise darauf, dass das Haus im Ort den Ruf hat verwunschen zu sein und Sam deswegen in der neuen Schule wie eine Aussätzige behandelt wurde. Der erste Jump Scare kann da nicht fern sein. Doch er kommt nicht. Und er wird auch nicht kommen. Denn „Gone Home“ ist keine Gruselgeschichte. Im Gegenteil: „Gone Home“ ist eine Liebesgeschichte … und mehr.

Bei dem Streifzug durch das verlassene Gebäude findet man nach und nach Hinweise darauf wie es der Familie seit Kaitlins Weggang ergangen ist. Man erfährt vom Tod des Großonkels und der daraus resultierende Erbschaft des neuen Hauses, von beruflichen Rückschlägen des Vaters, einer daraus resultierenden Ehekrise, welche wiederum eine Beinahe-Affäre ihrer Mutter zur Folge hat … und von der ersten großen Liebe ihrer kleinen Schwester.

Spannend dabei sind nicht die Geschichten selbst – auch wenn diese hervorragend geschrieben und (teilweise) gesprochen sind – sondern die Art und Weise wie diese erzählt werden. Es gibt keine Zwischensequenzen und keine Dialoge. Die einzige Figur, die indirekt (durch vorgelesene Tagebucheinträge) mit dem Spieler spricht, ist Sam. Getriggert werden diese wiederum durch einzelne Gegenstände. Fragt man sich zu Beginn noch, warum diese Gegenstände dazu führen, dass Kaitlin auf einmal aus dem Nichts die Stimme ihrer Schwester hört, ergibt auch das am Ende einen Sinn.

NARRATIVE UMGEBUNG

Sucht man allerdings nur gezielt nach diesen Triggergegenständen wird man zwar oberflächlich die Hauptstory um Sam erfahren, man wird jedoch sämtliche Nebenhandlungen schlicht übersehen. Diese muss man sich nämlich selbst zusammenreimen und Stück für Stück wie ein schönes Storypuzzle zusammensetzen … auch wenn die Schönheit letzten Endes eher schlicht ist. Erst wenn man auch sämtliche Post-Its am Kühlschrank liest, unter Betten kriecht, um dort nach Briefen zu suchen, sorgfältig die Notizen im Arbeitszimmer des Vaters durchstöbert und jede Ecke nach Hinweisen absucht, erschließt sich jedes Detail der Handlung. Damit erklärt sich übrigens auch, warum das Spiel in den 1990-igern spielt und nicht in der Gegenwart. In der heutigen Zeit würde man nicht mehr durch das Haus rennen und Notizen, Zeitungsartikel und Briefe suchen (und finden), sondern einen Blick ins Email-Konto werfen. Auch die Frage nach dem Verbleib der Familie ließe sich mit einem Anruf auf dem Handy der Eltern vermutlich klären.

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Doch ohne diese Vorzüge der modernen Welt muss man in „Gone Home“ auf Erkundungsgang gehen. Und Erkunden ist hier tatsächlich das Schlüsselwort. Es gibt einige Spiele, die große Teile ihres Spaßes daraus ziehen, dass der Spieler die Welt entdecken möchte und es Dinge zu entdecken gibt. „Skyrim“ kommt einem da in den Sinn. Oder die „Zelda“-Reihe und natürlich „GTA“. Aber keines dieses Spieler verlässt sich auf den Entdeckerdrang als primäres Gameplayelement. Anders „Gone Home“ … abseits des Findens und Lesens von Hinweisen versteckt sich hier nicht viel Spiel. Alles ordnet sich der Geschichte unter.

EIN HOCH AUF AUDIOLOGS

Ich bin selbst erstaunt, dass „Gone Home“ mir trotzdem gefällt. Wenn ich in den letzten Jahren einer Mechanik wirklich überdrüssig geworden bin, dann sind das Audiologs, Email-Nachrichten, Bücher oder sonstige sekundäre Handlungsvermittler in Spielen. Meistens lenken diese nur vom eigentlichen Spiel ab. Selbst in einem Spiel wie „Bioshock Infinite“, in dem mich die Handlung extrem interessiert und jedes Fitzelchen an Information wichtig sein kann, um am Ende zumindest eine Chance zu haben, diese auch zu verstehen, kotze ich bei jedem neuen Audiolog im Quadrat. Ich möchte ja wirklich wissen, was mir dieses mitteilen soll und höre es mir daher auch an, aber … verdammt … da kommen schon wieder Gegner … oh … Elizabeth sagt etwas … wow … das da drüben sieht ja cool aus … äh … Moment … was war jetzt gerade der Inhalt des Logs? Es funktioniert nicht. Es funktioniert vor allem NIE! Am Ende bleibt einem nichts anderes übrig wie im Menü noch einmal alle Audiologs nachzulesen. Pfff.

Und in „Gone Home“ funktioniert es dann doch. Die Reduktion jeglicher klassischer Gameplayelemente arbeitet hier für das Spiel und für die Handlung. Zugegeben: das muss man mögen (wie so oft bei diesen avantgardistischen Indie-Experimenten) und es würde auch nicht funktionieren, wenn die Story nicht zünden würde (was nicht bei jedem der Fall sein wird) … aber bei mir passt hier alles zusammen. Nach knapp 2 Stunden, in denen ich komplett in der Handlung vertieft war, saß ich mit einem Tränchen im Auge vor dem Bildschirm und schaute mir den Abspann an. Ja … das war schön.

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Finale Frage: Ist „Gone Home“ sein Geld wert? Puuuh … regulär kostet das Spiel 18,99 €. Die Spieldauer ist – wie gerade erwähnt – eher kurz. Der Wiederspielwert dürfte auch eher gering sein … ich habe in meinen 2 Stunden vielleicht nicht alles entdeckt, aber auch nicht das Gefühl Elementares verpasst zu haben. Aber die Erfahrung an sich war toll. „Gone Home“ ist ein Lehrstück dafür wie Narrative in Videospielen funktionieren kann. Kein anderes Medium könnte diese Geschichte so erzählen wie es „Gone Home“ macht und in keinem anderen Medium wäre man emotional so sehr involviert wie hier. Dadurch, dass man durchgängig aktiv damit beschäftigt ist, im Kopf alle Puzzleteile zusammen zu setzen und nach neuen Hinweisen in der Umgebung zu suchen, versumpft man geradezu in der Handlung. Aber ist einem das knapp 19 € wert? Das muss jeder für sich selbst entscheiden

Mir persönlich kann es egal sein. Ich habe im Sale nur knapp ein Viertel des Preises gezahlt.

„Gone Home“ ist ein Adventure (kind of) von The Fullbright Company. Es kostet 18.99 € (bzw. 19.99 $) und kann unter anderem auf Steam, im Humble Store oder auf www.gonehomegame.com erstanden werden.

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